„Zypern – Brennpunkt zwischen EU und Türkei?“

Schon am ersten Tag wurden die 32 Teilnehmenden des Studienseminars beim Besuch des Parlaments in Nikosia mit der seit 1974 bestehenden De-facto-Teilung des Landes konfrontiert. Während die griechischen Zyprioten durch 56 Abgeordnete vertreten sind, bleiben die für die türkischen Zyprioten vorgesehenen 24 Sitze unbesetzt, weil diese nach ihrem Selbstverständnis in einem eigenen Staat leben, der „Türkischen Republik Nordzypern“, der allerdings nur von der Türkei anerkannt wird.

Nach einem kurzen Spaziergang erreichten wir die innerzyprische Grenze. Im Niemandsland zwischen den beiden Grenzstationen liegt ein großes Hotel, in dem die ca. 800 UN-Blauhelme stationiert sind, die seit dem Waffenstillstand von 1974 die 180 km lange Demarkationslinie überwachen. Die vielfältigen historischen Ursachen, die zur Teilung der Insel geführt haben, erläuterte uns Dr. Hubert Faustmann, Professor an der Universität Nikosia und Leiter der lokalen Friedrich-Ebert-Stiftung, in einem lebendigen, ausgewogenen Vortrag. Dieser fand statt in einem Gebäude mit dem bezeichnenden Namen „Home for Cooperation“. Es wird von verschiedenen NGO’s genutzt, die sich für eine bessere kommunale Zusammenarbeit zwischen den beiden Volksgruppen einsetzen. Die Perspektive für eine Wiedervereinigung wurde von Prof. Faustmann eher negativ beurteilt. Trotz der Erweiterung der Anzahl der Grenzübergänge, die zu einem stärkeren Austausch und mehr Besuchen geführt haben, entwickeln sich beide Teile der Insel auseinander. Ein Gang durch die türkisch verwaltete, restaurierungsbedürftige Altstadt von Nikosia verstärkte diese Eindrücke. 

 

Ammochostos / Famagusta

In der heute türkischen Stadt Ammochostos (vormals Famagusta) besuchten wir eine Reihe von historischen Denkmälern, die vom einstigen Reichtum der Stadt Famagusta Zeugnis ablegen: die von den französischen Kreuzrittern nach dem Vorbild von Reims errichtete Nikolauskathedrale, die heute als Moschee genutzt wird, die Festungsanlage der Venezianer, einschließlich der vollständig erhaltenen Stadtmauer sowie die Ruinen des Palastes des venezianischen Statthalters. Der Erhalt und die Restaurierung dieser historischen Bauten werden von der EU als Teil des kulturelles Erbes Westeuropas kofinanziert. Auf einem Abstecher in die benachbarte Geisterstadt Varósha wurden wir erneut mit den Folgen der Teilung von 1974 konfrontiert. Zahlreiche Häuser und Hotels, welche die griechischen Zyprioten nach der türkischen Invasion fluchtartig verlassen hatten, sind seitdem wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse dem Verfall preisgegeben.

 

Larnaka und Limassol  Stadtentwicklung im Vergleich

Die griechischen Städte Limassol und Larnaka haben in ihrer Entwicklung von der Abtrennung Famagustas profitiert, wie wir bei zwei Stadtrundgängen

und den sich anschließenden Gesprächen mit einem Vertreter der jeweiligen Stadtverwaltung in Erfahrung bringen konnten. In Larnaka (120.00 Einwohner) entstand der neue Flughafen für die Touristen, die den griechischen Teil der Insel besuchen wollen, während In Limassol (190.000 Einwohner) innerhalb weniger Jahren ein neuer Tiefsee-Hafen angelegt wurde. Die darauffolgende Niederlassung von ca. 60 Reedereien sowie von Banken und anderer Unternehmen führte in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem Hochhausboom. Zudem siedelten sich im Laufe der Jahre etwa 40.000 wohlhabende Russen an, was der Stadt den Spitznamen „Limassolgrad“ einbrachte. Gleichzeitig ist die Kommune nach Darstellung des stellvertretenden Bürgermeisters bemüht, das historischen Zentrum durch die Gründung einer technischen Universität mit zurzeit 3200 Studenten zu beleben und leerstehende Gebäude einer neuen Nutzung zuzuführen. So besichtigten wir einen modernen Hörsaal und eine im Aufbau befindliche Bibliothek. Es entstehen neue Cafés und Märkte, wie z.B. in den Räumen einer Mühle, in der die Früchte des Johannisbrotbaumes verarbeitet wurden. Im Gespräch wurden auch die Probleme einer durch Tourismus und Wirtschaftsboom schnell wachsenden Großstadt angesprochen: Wohnungsnot, steigende Mieten und Immobilienpreise sowie Wassermangel auf Grund des Klimawandels. In Larnaka erläutert uns der stellvertretende Bürgermeister Andrea Louka die Pläne für die weitere Stadtentwicklung. Dazu gehören die Sanierung von Überschwemmungsgebieten der Altstadt, die Errichtung einer größeren Marina für Luxusjachten durch private Investoren, der Bau weiterer Touristenhotels und die Bewerbung der Stadt als europäische Kulturhauptstadt Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass beide Städte auch von der politischen Unsicherheit im Nahen Ostens profitieren. Geschäftsleute aus dem Libanon und aus Israel schätzen für ihre Investitionen die wirtschaftliche Sicherheit des zur EU gehörenden griechischen Teil Zyperns.

 

Weinbau und Milchwirtschaft  zwei von der EU geförderte Modernisierungsprojekte

In der Nähe von Limassol nahmen wir an einer Führung durch die Weinkellerei „Zambartis“ teil. Diese produziert auf eigenem Land und auf dazu gepachteten Flächen Qualitätsweine, von denen wir einige bei einer Weinverkostung probieren durften. Mit EU-Mitteln konnten die Kelter- und Abfüllanlagen modernisiert und erweitert werden, wodurch neue Arbeitsplätze entstanden. Die Eigentümerfamilie vermarktet ihre Qualitätsweine nicht nur auf der Insel, sondern beliefert auch zunehmend Kunden in Europa. Wegen des trockenen Klimas sind die Weinstöcke auf Zypern kleiner und kompakter

und müssen bewässert werden. Die Traubenernte erfolgt ausschließlich per Hand. Am letzten Tag der Reise wurde uns der Kallenos-Milcherzeugungsbetrieb der Familie Michaliades vorgestellt. Diese errichtete vor einigen Jahren nach israelischem Vorbild zwei nach allen Seiten hin offene Freilufthallen, in denen etwa 220 ostfriesische (!) Milchkühe gehalten werden. Für Fütterung und Aufenthalt der Tiere wird jeweils abwechselnd nur eine Seite der Halle genutzt. Die andere Seite wird für 24 Stunden nicht belegt, so dass die Ausscheidungen der Tiere auf Grund des warmen Klimas trocknen können. Auf diese Weise entsteht ein geruchs- und bakterienfreier, torfähnlicher Dung, der auf die Felder ausgebracht

wird. Die Kühe werden in 30er Gruppen dreimal am Tag gemolken. Vor dem Melken werden sie aus an der Decke befestigten Duschköpfen mit kaltem Wasser besprüht. Diese Abkühlung senkt die Körpertemperatur um ca. 2 Grad, steigert die Milchleistung und reduziert den Hitzestress, dem die Tiere ausgesetzt sind. Jede Kuh wird über einen Computerchip bezüglich Fressverhalten, Milchleistung, Fruchtbarkeitstage etc. überwacht. Nachwuchs für die Herde wird ausschließlich über künstliche Besamung erzeugt. Die Milch wird vor allem für die Produktion von einheimischem Käse verwendet, den wir in einer sich anschließenden Verkostung probieren durften. Antike Orte/Ausgrabungen Die griechischen Zyprer sind stolz auf die Ausgrabungen der zahlreichen Siedlungen und Städte ihrer Vorfahren. In Salamis und Kourion sowie im archäologischen Park von Paphos konnten wir uns einen Eindruck verschaffen von den großartigen Amphitheatern und den gut erhaltenen Mosaiken in Bädern und Häusern, welche Griechen und Römer hinterlassen haben.

 

Text: Karl Wilms

Fotos: Salamis für DEPB